Noch vor der Bundestagswahl brauche es eine große Pflegereform – und einen Steuerzuschuss von bis zu neun Milliarden Euro. Das forderte ein Vertreter der Gesetzlichen Krankenkassen Anfang Januar im Handelsblatt.
Anderenfalls müssten die Beiträge zur Pflegeversicherung 2022 erneut steigen. (Es wäre die sechste Erhöhung seit 2008.)
Deutlich weniger eilig haben es die Privaten Krankenversicherer, ja sie plädieren offen dafür, die Reform in die nächste Legislaturperiode zu verschieben. Die anstehenden Weichenstellungen seien von so grundsätzlicher Natur, dass bei dem Thema nichts übers Knie gebrochen werden sollte, so die Privaten.
Und sie positionieren sich vehement gegen jene Steuerzuschüsse, die nicht nur die GKV, sondern auch der Gesundheitsminister auf dem Zettel hat. Jens Spahns Pläne, so rechnen die Privaten vor, könnten die Steuerzahler bis 2030 „insgesamt knapp 109 Milliarden Euro kosten.“
Union uneins über Pflegereform
Steuerzuschüsse brächten die Privatversicherer massiv in die Bredouille, weil sie damit bezahlte Ausweitungen von Leistungen auch ihren Kunden anbieten müssten – ohne die Beiträge entsprechend hochsetzen zu können. Sie würden lieber zusätzliche Versicherungsprodukte verkaufen.
Auf eine „betriebliche, staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung“ setzt auch der Wirtschaftsflügel der Union: Jeder Arbeitnehmer solle bis zum Renteneintritt eine solche Privatpolice abschließen. Wer das nicht wolle, müsse dann bei Pflegebedürftigkeit für anfallende Eigenanteile selbst aufkommen. Warum das so nicht funktionieren kann, habe ich hier geschrieben.
Hinzu kommt, dass die vom Wirtschaftsflügel als großes Vorbild gepriesene Pflege-Zusatzversicherung der Chemieindustrie („Careflex“) schon vor ihrem Start auf der Kippe steht.
In Jens Spahns Plänen – auch er ist ja bekanntlich Teil der Union – kommt die Idee mit den Privatpolicen bisher gar nicht vor. Will sagen nicht einmal innerhalb der CDU besteht Konsens über Art und Richtung einer Pflegereform. Vom Koalitionspartner SPD ganz zu schweigen. Dem schwebt die Schaffung einer Bürgerversicherung vor, in die dann auch wohlhabende Gutverdiener einzahlen sollen.
Gezerre zwischen Bund, Ländern und Kommunen
Die Grünen versprechen eine – überaus schwammig formulierte – „doppelte Pflegegarantie“, die Linke wünscht sich gar eine „Pflegerevolution.“ Und dann gibt es ja noch das Gezerre um die Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen…
Nicht weniger uneins als die die Politik sind sich Betreiber von Pflegeheimen und -diensten, ebenso Gewerkschaften und Arbeitgeber.
In Anbetracht dieser Gemengelage halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass wir vor der Wahl noch eine nennenswerte Pflegereform erleben werden. Und das, obwohl der finanzielle Druck wächst. Die Rücklage der Pflegekasse nähert sich aktuell dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimum an, für 2021 wird ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro prognostiziert.
Und sollte es demnächst den viel diskutierten allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Branche geben, kämen noch einmal ca. fünf Milliarden Euro hinzu.
Aber dazu wird vermutlich nicht kommen – denn auch bei diesem Thema sind die Positionen höchst unterschiedlich.