Warum mehr „Preis- und Qualitätswettbewerb“ unter Pflegeheimen desaströs wäre

7. Februar 2022 | Autor: Christoph Lixenfeld

Damit mehr Pflegeheime gebaut werden, so das RWI Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, sollte es weniger Regulierung geben. Vorgaben etwa zum Anteil der Einzelzimmer seien Überflüssig. Stattdessen brauche es mehr „Preis- und Qualitätswettbewerb“. Das wäre ein Desaster.

© Andrea Kueppers

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Der „Pflegeheim-Rating-Report“ entsteht alle zwei Jahre mit dem Ziel, die wirtschaftliche Situation der Pflegeheime in Deutschland zu analysieren – und ihre Perspektiven für die Zukunft. Die Forscher rechnen damit, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen von aktuell 4,1 bis 2040 auf 5,6 Millionen steigen wird. Deshalb würden bis dahin – neben den 820.000 vorhandenen – 322.000 zusätzliche Heimplätze benötigt.
Die dafür notwendigen Investitionen schätzt das RWI auf bis zu 125 Milliarden Euro. „Ohne privates Kapital wird es kaum möglich sein, ein ausreichend großes Angebot zu schaffen“, so RWI-Gesundheitsforscher Ingo Kolodziej bei der Präsentation der Studie. Dieses Kapital werde aber nur bereitgestellt, wenn es „risikogerecht verzinst“ wird, will sagen wenn sich mit Pflege auch Geld verdienen lässt. (Hier und hier gibt es Zusammenfassungen der Ergebnisse des Reports.)

„Unternehmerische Handlungsfreiheit“ der Pflegeheime ausweiten

Deshalb sollte die Politik nach Ansicht des RWI – um (noch) mehr Investoren anzulocken – „die Regulierungsdichte reduzieren und die unternehmerische Handlungsfreiheit ausweiten.“ Regelungen zur Heimgröße und zum Anteil der Einzelzimmer seien überflüssig. Sie verteuerten den Betrieb und die Investitionen in neue und bestehende Einrichtungen. Wichtig sei, so die Forscher, ein ausreichend großes Angebot an Einrichtungen, „die miteinander in einem Preis- und Qualitätswettbewerb stehen.“
Jede(r), der oder die sich länger als zwei Stunden mit den Strukturen und Mechanismen in Deutschlands Altenpflege beschäftigt hat, greift sich in Anbetracht solcher Empfehlungen unwillkürlich an den Kopf. Aus drei Gründen.
Erstens: Ein „Preis- und Qualitätswettbewerb“ der nicht auf Kosten der Pflegebedürftigen geht, ist gar nicht möglich. Circa 75 Prozent der Kosten für den Betrieb eines Heims sind Personalkosten. Billiger sein zu wollen als andere Häuser bedeutet zwangsläufig, (zumindest auch) beim Personal zu sparen. Sollte die Politik einen solchen Sparkurs unterstützen, indem sie die geforderte Fachkraftquote senkt oder mehr Bewohner pro Pflegekraft zulässt, werden wir noch deutlich mehr schlechte Pflege bis hin zur Vernachlässigung erleben – und noch mehr dadurch verursachte Skandale als ohnehin schon.

Investoren lieben Pflegeheime wegen der geringen Risiken

Zweitens: Ein riesiges Heim mit vielen Doppelzimmern und schlecht bezahltem Personal, das vor allem mit niedrigen Preisen punkten will, kriegt vielleicht seine Betten belegt, aber es wird allergrößte Schwierigkeiten haben, MitarbeiterInnen zu finden. Maximaler Druck bei minimaler Bezahlung, warum sollte sich das jemand antun?
Drittens: Zu glauben, mehr Wettbewerb unter Heimen würde mehr Investoren anlocken, zeugt von eklatanter Unkenntnis der Branchenmechanismen. Das Gegenteil ist richtig. Denn mehr Wettbewerb bedeutet immer auch mehr Risiko. Investoren aber lieben die Heimbranche vor allem deshalb, weil ihnen hier die Pflegeversicherung und die bei Bedarf einspringenden Sozialämter unternehmerische Risiken weitgehend vom Hals halten. Bauträger auf der Suche nach Geldgebern werben regelmäßig ganz offen mit dieser Abwesenheit von Risiken.

Fragwürdige Ratschläge auf fragwürdiger Datenbasis

Und die Ratschläge des RWI an die Politik sind auch deshalb fragwürdig, weil sie auf einer noch fragwürdigeren Datenbasis beruhen. Grundlage sind 427 Jahresabschlüsse von 2019, „die mehr als 2100 Pflegeheime aus allen Bundesländern“ erfassen. Das sind ca. 14 Prozent des Marktes. Ob und inwieweit dieser Ausschnitt repräsentativ ist, darüber macht das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) keine Angabe.
Die ausgesprochen dünne Datengrundlage hält die Forscher allerdings nicht davon ab, zu behaupten, dass sich die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime in Deutschland insgesamt zuletzt kontinuierlich verschlechtert hat. Der Gewinn nach Steuern habe 2019 nur noch 0,9 Prozent der Erlöse betragen. Als Grund nennen die Autoren einen zunehmenden Kostendruck, auf dessen Ursachen sie allerdings nicht näher eingehen.
Der Anteil der Heime mit einem Verlust sei unter privaten Betreibern besonders hoch, so der Pflegeheim-Rating-Report weiter. Zugleich habe sich die Zahl der Heimplätze in privater Trägerschaft seit 1999 mehr als verdoppelt, während die Plätze bei freigemeinnützigen Trägern wie der AWO, der Diakonie oder der Caritas nur um 28 Prozent zugelegt habe.

Investoren dürften die politischen Forderungen gefallen

Der Report behauptet also einerseits, die Risiken für private Heimbetreiber seien – auch durch die übertriebene Regulierung der Branche – hoch, er behauptet, private Heime verdienten immer weniger, viele schrieben sogar Verluste. Um anschließend (ganz richtig) festzustellen, dass immer mehr Heimplätze in Deutschland in privater Hand sind.
Stellt sich die Frage, wie all das zusammenpasst. Wenn der Markt doch so hochriskant ist, wenn sich immer weniger verdienen lässt, warum steigen dann hier immer mehr private Investoren ein?
Ich habe selten einen Report eines – eigentlich – renommierten Wirtschaftsforschungsinstituts gelesen, der seine politischen Absichten so wenig kaschiert. Der auf Basis einer ausgesprochen dünnen Datenbasis und einer abenteuerlichen Argumentation Gesetzesänderungen fordert, deren Folgen für die Pflege absolut desaströs wären.
Auf Spekulationen darüber, was (und wer) genau hinter diesem „Report“ steckt, verzichte ich an dieser Stelle…

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