Ausgeträumt: Reich werden mit Betreuung

10. Dezember 2021 | Autor: Christoph Lixenfeld

Das millionenschwere Pflege-Startup Careship ist insolvent – nicht die erste Pleite eines solchen Unternehmens. Warum es auf dem riesigen, verheißungsvollen Markt für Betreuungsleistungen nicht so einfach ist, Geld zu verdienen.

Betreuung© Peter Maszlen - Fotolia.com

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Die Hoffnungen waren groß, als die Geschwistern Antonia und Nikolaus Albert aus Wien 2015 ihr Startup gründeten. Das Pflegeunternehmen vermittelt deutschlandweit Alltagshelfer zur Betreuung von Senioren und anderen Hilfebedürftigen. Die geschulten Helfer erledigen alles, was im Haushalt so anfällt und die Lebensqualität der Kunden erhöht – inklusive Leistungen der Grundpflege wie Anziehen, Kämmen oder Zähneputzen. Was nicht dazugehört, ist die sogenannte Behandlungspflege, also Dinge wie Wundversorgung oder Medikation, weil das nur ausgebildete Pflegekräfte ausführen dürfen.

Careship sammelte mehr als 10 Millionen Euro ein

Schnell stieg eine ganze Reihe – auch namhafter – Venture-Capital-Firmen ein, Careship sammelte in den zurückliegenden Jahren mehr als 10 Millionen Euro ein. Allerdings kostete nach Angaben der Webseite Deutsche Startups auch der Aufbau des Unternehmens allein bis Ende 2019 rund elf Millionen Euro, und der Jahresfehlbetrag summierte sich auf 3,8 Millionen. Bereits in jenem Jahr musste Careship seine Mitarbeiterzahl herunterfahren.
Und jetzt also die Insolvenz. Aktueller Anlass war nach Angabe des Unternehmens das Abspringen eines „Alleinkäufers für das Unternehmens“ in letzter Minute.
Careship richte jetzt all seine Anstrengungen darauf, „in den kommenden Wochen neue Investoren bzw. einen Käufer zu finden.“ Ob das gelingt? Unklar. Einerseits hat sich nach Unternehmensangaben die Zahl der gebuchten Hausbesuche auf bis zuletzt 69.000 erhöht. Andererseits verließen neben einigen Mitarbeitern im Dezember 2020 auch die Gründer Antonia und Nikolaus Albert das Unternehmen – vermutlich kein Anzeichen dafür, dass es bei Careship optimal gelaufen ist.

Der Markt ist riesig – auf den ersten Blick

Die Corona-Pandemie war vermutlich zwar nicht ganz unschuldig an der Entwicklung, aber sie ist sicher nicht die einzige Ursache. Denn mit Betreuungsleistungen Geld zu verdienen, das ist aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht ganz leicht.
Auf den ersten Blick wirkt das Geschäftsmodell einer Art gut organisierter, professionalisierter Nachbarschaftshilfe wie die Lizenz zum Gelddrucken: Der Markt für Betreuung ist wegen der vielen alten Menschen riesig – und er wächst weiter. Zugleich nimmt die Anzahl jener, die Zeit haben, diesen Job im privaten Umfeld kostenlos zu erledigen, immer weiter ab. Denn bei solchen „Engeln“ handelte es sich schon immer vor allem um Frauen. Deren Erwerbsbeteiligung steigt seit Jahren, will sagen immer mehr Frauen gehen einer normalen Lohnarbeit nach, anstatt sich ausschließlich oder größtenteils daheim der Versorgung von Kindern und/oder (Schwieger-)Eltern zu widmen. Vielen Familien bleibt also gar nichts anderes übrig, als den Job von Profis erledigen zu lassen.

Viele Pflegedienste leisten auch Haushaltshilfe

Das Problem dabei: Viele Menschen, die nur ein wenig Unterstützung brauchen, organisieren diese selbst im Kreis von Nachbarn oder Freunden. Und auch wenn das nicht gelingt, sehen die Beteiligten häufig nicht ein, dass sie dafür bezahlen sollen. Weil sie Hilfen entweder von der eigenen Familie erwarten – oder vom Staat.
Zwar lässt sich für die Bezahlung der Careship-Leistungen unter Umständen das Budget der Verhinderungspflege, der sogenannte Entlastungsbetrag oder das Pflegegeld nutzen – also Mittel aus der Pflegeversicherung. Ob das aber möglich ist, hängt vom Einzelfall ab. Zunächst muss der/die Betreute die Careship-Leistungen selbst bezahlen – und sich anschließend darum bemühen, zumindest einen Teil der Ausgaben erstattet zu bekommen. Unterm Strich sind die beschrieben Sondertöpfe der Pflegeversicherung zu klein, um damit regelmäßige Haushaltshilfen im größeren Umfang einkaufen zu können.

Warum 24-Stunden-Betreuung durch eine Osteuropäerin oft kein gangbarer Weg ist…lesen Sie hier

Hinzu kommt: Menschen mit höherer Pflegestufe, die einen normalen Pflegedienst in Anspruch nehmen, können bei diesem in aller Regel auch Betreuung buchen – als zusätzliche Leistung neben der Grund- und Behandlungspflege. Und hier ist der Service häufig sogar günstiger zu haben als beim reinen Vermittler von Alltagshelfern. Weil der Pflegedienst nicht existenziell auf diese Einnahmen angewiesen ist, sondern sein Geld vor allem mithilfe der höheren, sicheren Vergütungen der Pflegeversicherung verdient.

Helfer müssen Kleingewerbe anmelden

Die Nische, in der dieses Business erfolgreich sein kann, ist also auf den zweiten Blick deutlich enger als auf den ersten. Und auch für die Alltagshelfer, die den Job in aller Regel nebenberuflich erbringen, ist die Sache nicht unkompliziert. Bei Careship müssen sie zunächst ein Kleingewerbe anmelden – inklusive aller bürokratischen und steuerlichen Herausforderungen, die damit verbunden sind.
Das es nicht so einfach ist, im Pflegemarkt mit einem jungen, innovativen Unternehmen auch Geld zu verdienen, zeigt auch das Schicksal eines anderen Startups: Pflegetiger. Der „Fahrrad-Pflegedienst von Rocket Internet“ – so die Überschrift eines Artikels darüber – schlitterte ebenfalls in die Insolvenz. Und das nach nur etwa zwei Jahren. Hauptgeldgeber war die bekannte Berliner Beteiligungsgesellschaft der Samwer-Brüder. Auch im Falle von Pflegetiger war ein Verkauf des Unternehmens gescheitert. Nach Ansicht der Webseite Deutsche Startups hatte das Unternehmen mit seinen Preisvorstellungen für den Verkauf etwas zu hoch gepokert…
Mittlerweile gehören die Pflegetiger zur Stephanus Stiftung, einem christlichen Unternehmen unter dem Dach der evangelischen Diakonie und präsentieren sich als normaler Pflegedienst – der neben Pflege auch häusliche Betreuung und hauswirtschaftliche Hilfe anbietet.

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